SitemapImpressumDer AlltagDie KrankheitZeitleisteLinks

Hydranenzephalie in Kürze

Dieser Text als
.pdf [86 kB]

Vorbemerkung: Diese Informationen wurden von Barb Alemán im Namen der „International Hydranencephaly Support Group“ zusammen gestellt (Kontaktangaben am Ende des Textes). Wir sind Familien deren Kinder mit Hydranenzephalie leben, keine Ärzte oder Medizinerinnen. Diese Informationen beruhen auf unseren Erfahrungen und einfachen Befragungen der Mitglieder. Wir fassen einerseits zusammen was zur Zeit über Hydranenzephalie bekannt ist und andererseits das, was uns Medizin Fachleute sagen.

1. Definition

„Hydranenzephalie ist eine seltene neurologische Fehlbildung. Das Großhirn fehlt. Seinen Platz nimmt cerebro spinale Flüssigkeit (‚Gehirnwasser‘, Liquor) ein.“ (NINDS*)
Es ist von Kind zu Kind unterschiedlich wie viel Hirngewebe erhalten ist. Vielen Kindern mit Hydranenzephalie fehlt das gesamte Großhirn. Bei anderen sind große Bereiche der Hirnmasse erhalten, zum Beispiel cortical Gewebe entlang der Mittellinie oder im Hinterhauptsbereich. „Manchmal sind [cerebellum] und basal Ganglien vorhanden und normal.“ (http://chorus.rad.mcw.edu/doc/00194.html ) Manchmal fehlen auch diese Bereiche des Gehirns. Selten kommen an mehreren Stellen im Kopf kleinere Ansammlungen von Hirnmasse vor. Manche Kinder haben zusätzlich zu den Schäden im Großhirn auch Probleme im Bereich des Stammhirns.

2. Ursachen von Hydranenzephalie

„Hydranenzephalie wird als extreme Form der Parenzephaly (eine seltene Störung bei der Zysten oder Höhlungen im Bereich des Gehirns auftreten) betrachtet. Ursachen können Gefäßinfektionen oder traumatische Störungen sein, die nach der zwölften Schangerschaftswoche auftreten.“ (NINDS*)
Wir haben die Eltern zu den Ihnen bekannten Ursachen befragt:
38% vorgeburtlicher Infarkt; 11% Missbrauch von harten Drogen während der Schwangerschaft; 7% Infektionen während der Schwangerschaft; 5% ein angelegter aber toter Zwilling; 44% Ursache unbekannt. Bei zwei Kindern (2,4%) ist die Schädigung nach der Geburt entstanden. Obwohl die medizinische Wissenschaft nachgeburtliche Schäden nicht als Hydranenzephalie bezeichnet, sehen die CT Aufnahmen sehr ähnlich aus, weshalb wir sie mitzählen.

Kinder mit Hydranenzephalie machen bei der Geburt häufig einen normalen Eindruck, manchmal ist der Kopf ungewöhnlich groß. „Der Kopfumfang des Kindes und seine Reflexe wie saugen, schlucken, weinen und auch die Arm- und Beinbewegungen können alle bei der Geburt normal erscheinen. Doch auch in diesen Fällen ist zu erwarten, dass das Kind nach einigen Wochen auffällig reizbar wird und sich die Muskelspannung (Tonus) auffällig erhöht. Innerhalb der ersten Lebensmonate sind Krampfanfälle und Hydrozephalus (übermäßige Ansammlung von Flüssigkeit im Kopf) zu erwarten.” (NINDS*)

3. Behandlung

Es ist keine Therapie bekannt, die Hydranenzephalie heilen könnte.
Die Behandlung ist darauf ausgerichtet Symptome zu lindern und die Kinder nach ihren Möglichkeiten zu fördern. Hydrozephalus (s.u.) kann mit einem Shunt erfolgreich therapiert werden.

4. Hydrozephalus

Hydrozephalus ist häufig eine der ersten großen Schwierigkeiten mit denen das Kind konfrontiert wird. Nach unseren Befragungen benötigen 60% der Kinder einen Shunt (zur Ableitung überschüssiger Flüssigkeit aus dem Kopf in andere Körperregionen wird ein Röhrchen implantiert). Manche Kinder können mit einer leichten Form des Hydrozephalus ein Leben lang ohne Shunt auskommen und manche Kinder haben nie Probleme mit erhöhtem Hirndruck.

5. Unruhe und Reizbarkeit

Ein Kind mit Hydranenzephalie ist im ersten Lebensjahr häufig sehr unruhig und reizbar. Wenn sie solche Symptome bei ihrem Kind beobachten, sollte als erstes geprüft werden, ob sich Flüssigkeit im Kopf staut.
65% der Kinder aus unserer Befragung haben Schwierigkeiten mit Sodbrennen, was ebenfalls schmerzhaft sein kann. Das sollte ebenfalls geprüft werden.
Ältere Kinder werden in unserer Befragung zu 57% als “glücklich” und zu 18% als still beschrieben. Nur 19% erscheinen noch als übermäßig unruhig, wenn sie älter als ein Jahr sind.

6. erhöhter Muskeltunus - Spastiken

Kinder mit Hydranenzephalie können Probleme mit erhöhtem Muskeltonus (Muskelspannung) oder Spastiken haben. In unserer Befragung triff das auf 41% der Kinder zu. 6% der Kinder werden als “schlaff” beschrieben. Bei weiteren 47% schreiben die Eltern von wechselnden Zuständen der Muskelspannung, was bedeutet dass die Kinder manchmal erschlafft und manchmal sehr verspannt sind. Krankengymnastik und Ergotherapie sind sehr hilfreich um Problemen in diesem Bereich vorzubeugen. Wie auch immer: Die Kinder müssen sich vielfach orthopädischen Operationen unterziehen, wenn sie älter werden. Es ist sinnvoll im Rahmen der Therapie auch nach Geräten und Hilfsmitteln zu fragen, die vorbeugend genutzt werden können. Manchmal werden die Symptome der Kinder mit denen verglichen, die bei einigen Formen der Kinderlähmung oder bei spastischen Lähmungen auftreten.

7. Krampfanfälle

Verschiedene Formen von Krampfanfällen sind bei Kindern mit Hydranenzephalie verbreitet (75%). Art und Umfang der Anfälle sind von Kind zu Kind verschieden. Meist sind sie leicht, aber manche Kinder haben längere und heftige Anfälle. Nach unseren Befragungen bekommen die Kinder zur Behandlung der Anfälle sehr unterschiedliche Medikamente verordnet. Oft müssen sie mehr als ein Medikament einnehmen und häufig muss die Medikation nach einiger Zeit geändert werden.
Ein Problem bei Diagnose und Therapie sind die EEG Untersuchungen. Diese Methode, wie auch viele Medikamente, sind auf den Cortex (die Hirnrinde) ausgerichtet. Die meisten Kinder mit Hydranenzephalie haben keinen Cortex, sondern die Krämpfe werden im Stammhirn ausgelöst. So kann es sein, das Eltern und Doc übereinstimmend Anfälle feststellen, das EEG gleichzeitig aber keine Auffälligkeiten zeigt. Medikamente die für cortikal ausgelöste Anfälle entwickelt wurde, wirken bei Hydranenzephalie manchmal nur schwach. Das kann der Grund sein, um eine Mischung von Medikamenten zu verordnen.

8. Ernährung

Kinder mit Hydranenzephalie können Schwierigkeiten beim Saugen und Schlucken haben. Vielen Familien wird mitgeteilt, das ihre Kinder vorhandene Fähigkeiten nach einigen Lebenswochen wieder verlieren können, wenn in der normalen Entwicklung “höher organisierte” Bereiche des Gehirns die Steuerung dieser Funktionen übernehmen. Wir haben keine Belege für diese Annahme gefunden. Nach unserer Befragung nehmen 39% der Kinder die Nahrung normal über den Mund auf. Weitere 39% können ausschließlich über eine Magensonde ernährt werden und 16% nutzen beide Wege. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Magensonde nötig wird.

9. Sehen und Hören

Nach unserer Befragung können 92% der Kinder hören. Manche Kinder zeigen kein Verständnis des Gehörten, zeigen aber bestimmte Reaktionen auf vertraute Geräusche oder Worte. Eltern schreiben, dass 46% der Kinder zumindest Teile dessen verstehen, was zu ihnen gesagt wird.
Bei 60% der Kinder wird davon ausgegangen, dass sie zumindest zeitweise sehen können. Die meisten Kinder leiden an “funktioneller Blindheit”, was bedeutet, dass die Augen normal ausgebildet sind, die Signale vom Auge können im Gehirn aber nicht oder nicht verlässlich verarbeitet werden. Es kann sein, dass die Kinder nur bestimmt Formen oder Farben erkennen können, oder dass der Abstand zum Auge eine sehr wichtige Rolle spielt. Es kann sein, dass Dinge an einem Tag erkannt werden können, am nächsten aber wieder nicht.

10. weitere häufige Symptome

- Asthma/Atemwegserkrankungen (20%)
- Diabetes insipidus (27%)
- Sodbrennen (65%)
- Obstipation (Verstopfung) (66%)
- Einige Kinder bekommen so große Schwierigkeiten mit der Atmung, dass eine Tracheostomie (Luftröhrenschnitt) nötig wird (7%).
- Einige Kinder benötigen Sauerstoff- oder Beatmungsgeräte wenn sie älter werden.

11. Prognose

“Die Prognose für Kinder mit Hydranenzephalie ist schlecht. Viele Kinder sterben vor dem ersten Geburtstag.” (NINDS*)
Von unserer Befragung wurden 146 Kinder erfasst. 93 leben und 53 sind verstorben. 40%** der Verstorbenen konnten das erste Lebensjahr nicht vollenden. Von den lebenden sind 10% jünger als ein Jahr. Das älteste Kind ist 24 Jahre alt. Wir sind der Auffassung, dass das erste Lebensjahr der Kinder ihr schwierigstes ist. Wenn die Kinder das überstehen, haben sie gute Chancen einige Jahre alt zu werden.

Das Leben mit einem Kind mit Hydranenzephalie birgt viele Herausforderungen, aber auch viele Freuden. Sie werden erkennen, dass Sie das nicht allein schaffen können. Es ist multi-professionelle Hilfe aus verschiedenen Bereichen der Medizin nötig. Sie selbst werden ein Experte für die Bedürfnisse ihres Kindes werden. Mit Liebe und engagierter pflegerischer Hilfe kann ein Kind mit Hydranenzephalie ein aktives und glückliches Leben führen. Manche können sogar zur Schule gehen und an Ausflügen teilnehmen. Manche gehen auf Parties und zu Gemeindeveranstaltungen.

Anmerkungen:

Alle unseren statistischen Angaben erfassen nur einen kleinen Teil der Kinder die auf der ganzen Welt mit Hydranenzephalie leben. Vor allem Familien die Zugang zu Computer und Internet haben, konnten mit uns Kontakt aufnehmen. Es könnte sein, dass diese Zahlen ein verzerrtes Bild geben. Die meisten unserer Mitglieder leben in den USA. Wir sind in Kontakt mit Menschen aus Großbritannien, Neu Seeland, Kanada und ein oder zwei weiteren Ländern. Die Untersuchung wurde mit einem Fragebogen durchgeführt, der online und per Post zugestellt wurde. Die meisten Antworten gingen Online ein. In die Befragung sind keine Informationen aud Europa, Skandinavien, China etc. eingegangen. Einige Familien haben sich auch entschieden nicht an der Befragung teilzunehmen.

* NINDS = National Instutute of Neurological Disorders and Strokes (USA); Nationales Institut für neurologische Störungen und Infarkte
** Diese Angabe schließt Kinder ein, die Tot geboren wurden, bei denen Ärzte auf einer eingeleiteten Geburt bestanden haben, bei denen die Therapie verweigert wurde und solche die wegen der Schwere der Schäden nur wenige Tage überlebt haben.

Dieser Text wurde im Frühjahr 2006 veröffentlicht.

Kontakte

Hydranencephaly Website
USA: Holly Fielder: miraklekid@aol.com
Canada: Barb Aleman: angelbearmom@shaw.ca
Scotland/UK: Agnes Marshall: agnes@marshall6250.fsnet.co.uk
Australia: Lisa King: lisajking@hotmail.com
Übertragung ins Deutsche von Georg und Urte Paaßen
eMail: post@hydranenzephalie.araneae-online.net

Referenzen

NORD (National Organization of Rare Diseases)
National Institute of Neurological Diseases and Stroke
Neurology Channel Cephalic Disorders

Dieser Text als .pdf [86 kB]